Autoreninterview mit Nick Jaussi

„Ich habe in den Slums übernachtet“

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WELTSEHER: Was hat dich nach Kolumbien verschlagen, wie oft bist du dort?

Nick Jaussi: Ich lebe seit einem Jahr in Kolumbien, mich haben zwei Auslandssemester in dieses wundervolle Land gebracht. Das zweite Semester habe ich geschmissen, um mich der Fotografie zu widmen und mich auf diesem Feld weiter zu vertiefen. Es ist das zweite Mal in dem Andenland, vor 5 Jahren habe ich bereits Bekanntschaft mit der Offenheit der Kolumbianer gemacht und war direkt fasziniert. Und mir war klar, dass ich wiederkommen würde.

Wie hast du von Dona Alba erfahren und warum wolltest du eine Geschichte über sie machen?

Ich habe den Kontakt über die NGO „Techo“ aufgebaut. Als Freiwilliger habe ich selbst mehrfach in verschiedenen Ländern Südamerikas Notunterkünfte gebaut und ich wollte unbedingt wieder mit ihnen zusammen arbeiten. Allerdings wollte ich dieses Mal die Perspektive der Bewohner einnehmen. Ich habe viel Zeit mit Dona Alba verbracht und dadurch ein wenig mehr verstanden, was es für Sie bedeutet, dass die Freiwilligen kommen. Außerdem war es mir wichtig zu zeigen, wie jemand jeden Tag in sehr widrigen Umständen ums Überleben kämpft und dennoch Fortschritte machen kann. Wenn auch kleine.

Kolumbien ist hierzulande für sein hohes Maß an Gewalt bekannt, wie hast du das erlebt?

Ja, Kolumbien war mal ein gefährliches Land. Ich wohne in einer Gegend in Bogotá, wo selbst die Einheimischen die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, weil es angeblich so gefährlich ist. Ich gehe dort aber nachts spazieren und laufe tagsüber mit Laptop durch die Straßen – und mir ist noch nichts passiert. Ein wenig mulmig ist mir manchmal schon, aber ich habe keine Angst vor Gewalt oder dergleichen. Es gibt trotzdem Gegenden, da sollte man besser nicht hingehen. Besonders gefährlich ist aber politisches oder gewerkschaftliches Engagement.

Also ist es inzwischen sicher?

Kolumbien als Land kommt mir nicht besonders gefährlich vor. Ich habe vielmehr eine unglaubliche Ehrlichkeit der Kolumbianerinnen und Kolumbianer erlebt, bin mit der Kamera durch die Slums gelaufen und habe dort übernachtet. Und als ich bei einer Reportage nicht mehr ins Hotel kam, bot mir ein Bauer spontan ein Bett an. Das entspricht vielmehr meinem Bild von Kolumbien. Klar gibt es auch Gewalt, die einheimischen Medien tragen selbst dazu bei, dass sie übermäßig wahrgenommen wird. Aber sie bestimmt selten den Alltag.

Hast du es als ausländischer Journalist dort leichter oder schwerer an die Menschen heranzukommen?

Kolumbianerinnen und Kolumbianer vertrauen sich untereinander relativ wenig, sie haben ein schlechtes Bild von ihren Landsleuten, daher habe ich es als deutscher Ausländer einfacher, dass mir Protagonisten vertrauen. Speziell Deutsche und Deutschland haben einen guten Ruf in Kolumbien. Allerdings ist es manchmal schwieriger, weil man als weißer Deutscher doch schnell als jemand Fremdes wahrgenommen wird. Aber in der Regel ist es von Vorteil.

Wie steht es um die Pressefreiheit?

Reporter ohne Grenzen listet Kolumbien auf Platz 126 von 180 Ländern, es ist also nicht besonders rosig um die Pressefreiheit im Land bestellt. Wenn es nach der Gesetzeslage gehen würde, wäre die Situation eine wirklich gute, denn es gibt dort Garantien für die Ausübung der Meinungsfreiheit. In der Praxis sieht es allerdings anders aus. Noch immer werden Journalisten bedroht und eingeschüchtert. Im Schnitt wird noch ein Journalist pro Jahr ermordet und selten werden die Täter bestraft. Dabei kommt es auf die Themen an. Solche, die wirtschaftliche Interessen bedrohen, sind für Journalisten besonders gefährlich.

Fühlst du dich bedroht?

Ich mache meist Geschichten über die Lebensbedingungen der Kolumbianischen Bevölkerung, die sind wohl von zu geringem Interesse, als dass ich in den Fokus kommen würde. Zumindest bilde ich mir das ein. Daher kann ich, abgesehen von normaler Kriminalität, relativ beruhigt meiner Leidenschaft nachgehen und das Leben hier dokumentieren.

SIEH DIE WELT-Autor Nick Jaussi (links) mit Dona Alba und ihrer Familie | Foto: Alejandro
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